Die AG Spurensuche der Rudolf-Hildebrand-Schule beschäftigt sich seit 2014 mit der jüdischen Geschichte in Markkleeberg und hat zahlreiche Schicksale von Menschen recherchiert, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Zum Gedenken an diese Menschen konnten in Markkleeberg bereits elf Stolpersteine an sechs Standorten verlegt werden.
Nun kamen in Leipzig vor der Seeburgstraße 26 vier neue Steine hinzu, die an Berko, Lea, Isaak und Rosa Jamschon erinnern. Sie wurden am 10. April 2025 feierlich verlegt.
Die Verbindung zu Markkleeberg besteht über Lucie Berliner, die in der hiesigen Rathausstraße 34 wohnte und wo für sie und ihre Familie 2017 Stolpersteine verlegt wurden. Lucies Verlobter war Isaak Jamschon. Die Familie floh nach Belgien, wo die beiden 1940 heiraten konnten. Kurz darauf überfiel die Wehrmacht die Benelux-Staaten. Lucie, Isaak und seine Eltern wurden deportiert und 1942 in Auschwitz-Birkenau ermordet.
Im Rahmen ihrer „Komplexen Lernleistung“ erforschte Schülerin Elisabeth Weck akribisch das Schicksal der Familie.
Die Verlegung der Stolpersteine erfolgte durch die AG Spurensuche in Zusammenarbeit mit Achim Beier vom Archiv Bürgerbewegung Leipzig e. V. Finanziert wurden sie durch liebe Menschen aus dem Umfeld der Schule und der AG. Sie übernahmen auch die Patenschaft der Steine.
bw
Die Familie Jamschon
Isaak Jamschon wurde am 1. Mai 1907 im russischen Pskov als Sohn jüdischer Eltern geboren. Sein Vater war der Kaufmann Berko Jamschon und seine Mutter Leja Jamschon, geborene Schwat. Die Schwester von Isaak Jamschon war die am 1. Dezember 1920 in Leipzig geborene Rosa Jamschon. Er ging einer Tätigkeit als Lagerist nach. Bis zu seiner Flucht nach Belgien im Jahr 1939 wohnte er in der Leipziger Seeburgstraße 26. Lucie Berliner (Markkleeberg) bemühte sich vehement um eine Ausreise für sich und ihre Familie aus dem Deutschen Reich. Da Isaak Jamschon und dessen Familie auf Grund ihrer Staatenlosigkeit Ende Juni des Jahres 1939 des Deutschen Reiches verwiesen wurden und er keine Aufenthaltsgenehmigung erhielt, war die einzige Option, am 10. August 1939 nach Belgien zu fliehen, wo er die Avenue Fonsny 23a in Saint Gilles, Brüssel, bewohnte. Laut Akten des Sächsischen Staatsarchivs Leipzig erreichte Issak Jamschon am 19. August 1939 Belgien. Dort bemühte er sich um Visa für seine Verlobte ,Lucie Berliner, und deren Familie. Bis zu seiner Ausweisung wartete er auf eine Vorladung beim Amerikanischen Konsul in Leipzig, da ursprünglich geplant war, in die USA auszuwandern. Gemeinsam mit Rosa und Friedrich Berliner folgte ihm Lucie Berliner im Dezember 1939 nach Belgien. Während der Flucht wurden Rosa und Friedrich in Sicherheitshaft genommen. Lucie Berliner war sich allerdings im Unklaren darüber, ob sie sich ebenfalls einer Verhaftung unterziehen müsse, da sie als Grund des Aufenthalts in Belgien die Hochzeit mit ihrem Verlobten Isaak Jamschon, der ein belgisches Visum besaß, angab. Aus einem Brief, den Rosa Berliner nach der Inhaftierung im Internierungslager schrieb, geht hervor, dass Lucie das Verlassen des Lagers für kurze Zeit gestattet wurde, um in Saint Gilles Isaak Jamschon am 24. April 1940 zu heiraten. Kurze Zeit später, am 10. Mai 1940, begann die deutsche Wehrmacht mit der Invasion der Benelux- Staaten. Danach erfolgte eine sofortige Rückkehr von Lucie Jamschon in das Lager, während es Isaak Jamschon weiterhin gewährt war, in Brüssel zu leben. Am 3. August 1942 wurde Isaak Jamschon zur Arbeit einberufen und kam in das SS-Sammellager in Mechelen. Am 11. August 1942 wurde er von Mechelen nach Auschwitz- Birkenau deportiert. Nach seiner Ankunft in Auschwitz- Birkenau erfolgte nach der Selektion die Einweisung von Isaak Jamschon zur Zwangsarbeit im Konzentrationslager. Sein Name erscheint in den Sterbebüchern von Auschwitz-Birkenau mit dem Datum 11. September 1942.
Berko Bernhard Jamschon wurde am 20. Juli 1879 in Grajewo, Russland geboren. Er war der Sohn von Lejzor und Etka Jamschon, geborene Korzentkowski. Auch er bewohnte, gemeinsam mit seiner Ehefrau, der am 25. Dezember 1885 in Pskov geborenen Leja Jamschon, geborene Schwat, die Leipziger Seeburgstraße 26. Am 17. August 1939 flohen Berko und Leja Jamschon nach Belgien, nur wenige Wochen vor Beginn des Zweiten Weltkriegs. 1942 begann die Sicherheitspolizei in Belgien Massenrazzien gegen Menschen jüdischen Glaubens durchzuführen. In Brüssel konnte die Sipo-SD ausschließlich eine einzige Razzia in der Nacht vom 3. auf den 4. September 1942 ausführen. Die Massenverhaftungen führten zur Deportation von über 4.300 Jüdinnen und Juden aus Brüssel nach Auschwitz-Birkenau. Berko und Leja Jamschon wurden während dieser Razzia verhaftet. Am 4. September erreichten sie das SS- Sammellager Dossin und am 12. September 1942 erfolgte die Deportation nach Auschwitz- Birkenau. Berko Jamschon wurde zur Zwangsarbeit befohlen. Er verstarb am 30. November 1942. Leja Jamschon überlebte die Deportation mit Sicherheit nicht, jedoch sind die Umstände und der Zeitpunkt ihres Todes unbekannt. Rosa Jamschon wurde am 1. Dezember 1920 als Tochter von Berko und Leja Jamschon in Leipzig geboren. Auch sie wohnte bis 1939 gemeinsam mit ihren Eltern Berko und Leja und ihrem Bruder Isaak Jamschon ebenfalls in der Seeburgstraße 26. Am 10. August 1939 befand sie sich auf dem Weg nach London. Mit Hilfe eines sogenannten „Domestic Permits“ fanden zwischen 1933 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs über 60.000 Menschen aus Deutschland und Österreich Zuflucht in Großbritannien, darunter rund 20.000 jüdische Frauen zwischen 18 und 45 Jahren, die als Haushaltsgehilfinnen arbeiteten. Das „Domestic Permit“ ermöglichte es britischen Dienstgebern, ausländisches Hauspersonal für einen bestimmten Zeitraum zu engagieren. Der weitere Lebensweg von Rosa Jamschon konnte bisher nicht rekonstruiert werden. Ein Großteil der Informationen über die Familie Jamschon stammt aus den über 150 Briefen, welche im Zeitraum von Februar 1939 bis August 1940 meist zweimal wöchentlich von Lucie und Rosa Berliner, adressiert an Gertrud und Peter Lubo nach Australien, verfasst wurden. Gertrud Berliner (Lubo) überlebende als einziges Mitglied der Markkleeberger Familie Berliner den Holocaust. Ihrer Familie haben wir im Jahr 2017 viel Stolpersteine in der heutigen Rathausstraße gesetzt.